Live-Berichte (6)

Basecamp, 24.4.00, 14.00 Uhr

Bei uns ist richtiges Mistwetter, und das schon seit Tagen. Dies ist auch der Grund, daß wir nur 100 Höhenmeter unter dem Gipfel des Baruntse den ersten Gipfelversuch abbrechen mußten.

Die letzten Tage liefen wie folgt ab: Wie geplant startete am 19. April die erste Vierergruppe mit Götz, Bernd, Ole und mir. Wir starteten um acht im Basecamp und erreichten gegen 13.00 Uhr das Camp 1. In den letzten Sonnenstrahlen trockneten wir noch ein paar Sachen, bevor gegen zwei zuzog und zu schneien begann.

Am nächsten Morgen war halb fünf wecken. Das übliche Spiel mit Kochen, Anziehen und Packen begann. Ein herrlicher Morgen erwartete uns. Wir wußten, das an diesem Tag unsere Rucksäcke ganz schön voll werden würden. Von Camp 1 aus hieß es, alle persönlichen Sachen wie Schlafsack, Isomatte, Kleidung und Essen mitzunehmen. Auf dem Paß kommt dann das deponierte Material von der zweiten Gruppe dazu und auf dem Gletscher hinter dem Paß lag das gesamte Material, was unsere Gruppe vor Tagen dort hinterlassen hatte. Alles in allem fast 100 kg. Wir starteten halb acht und erreichten schon nach 3 Stunden den Paß. Leider ist der Baruntse von hier noch nicht zu sehen. Aber der Weiterweg nach unserem Depot auf dem Gletscher wurde uns klar. Bloß gut, das wir so zeitig auf dem Paß waren und die Sicht auf den Weiterweg noch frei war. Schon eine halbe Stunde später kamen Wolken auf und dann das übliche: Nebel und Schnee. Anhand unserer gesteckten Fahnen erreichten wir unser Depot - noch mehr einpacken. Ab hier seilten wir uns an, da mit Gletscherspalten zu rechnen war. In dem Nebel war das nicht so einfach, die richtige Route zu finden. Aber wir hatten Glück: von einer britischen Expedition von Ende März steckten noch ein paar Fahnen. Der Weg zum Camp 1 ist technisch nicht schwierig, aber große zugeschneite Spalten lehrten uns das Fürchten. Die größte versicherten wir mit einem Fixseil. Mittlerweile war Wind aufgekommen und wir waren froh, gegen 15.00 Uhr eine Stelle erreicht zu haben, wo wir dieZelte aufbauen konnten. Wo wir uns genau befanden, konnten wir nur erahnen. Einmal tauchte aus dem Nebel ein Grat auf, wo wir der Meinung waren, der führt zum Gipfel. Also Zelte aufgebaut und dann ab in den warmen Schlafsack zum Aufwärmen. Schneeschmelzen, Kochen und Essen - der übliche Ablauf. Auch im Laufe des Abends besserte sich das Wetter nicht, alles zugezogen. Selbst nachts um zwei war noch alles dicht und dunkle Wolken hingen vor dem Baruntse.

21. April - Halb vier war wecken, der Himmel sieht gespenstisch schwarz aus: keine Sterne, dafür Wolken. Aber der Baruntse ist zu sehen und wir beschließen, es zu versuchen. Um fünf Abmarsch. In zwei Zweierseilschaften gehen wir los. Es ist eiskalt, die wenigen Minuten zum Steigeisen anlegen und Seil anlegen haben gereicht, dass wir kalte Hände und Füße haben. Durch bis zu 30 cm hohen Schnee geht es voran. Eigentlich hatten wir gehofft, festen Firn vorzufinden, aber dem ist leider nicht so. Wir orientieren uns an zwei kleinen Fähnchen der Engländer. Erst über einen steilen Hang, dann große Spalten umgehend auf den Grat. Dann über den Rücken - von unten sah das aus, als wäre alles einheitlich mäßig geneigt. Doch wir sehen nur immer steile Schneefelder und kleine Absätze. Dazu kommen reichlich Spalten, die nur vom Schnee verdeckt sind. Aber wir kommen gut voran und sind sehr optimistisch. Gegen 7.00 Uhr beginnt sich dann die Sonne durchzukämpfen und wir bekommen warme Füße. Noch sieht die Umgebung gespenstisch aus, da in Richtung Ama Dablam ein völlig schwarzer Himmel vorherrscht. So etwas habe ich im Himalaya überhaupt noch nicht gesehen. Doch später löst sich alles auf und blauer Himmel kommt zum Vorschein. Mittlerweile sind wir an einer schwierigen Passage in 6800 m angelangt. Erst eine schwierige Spaltenüberquerung und dann eine steile, bis 70 Grad steile Stufe, teilweise mit Wassereis durchsetzt. Mit zwei Eisgeräten und drei Eisschrauben meistert Ole diese ca. 80 m lange Passage und legt ein Fixseil. Wir anderen drei arbeiten uns mit der Steigklemme hinterher, selbst das ist schon mühsam. Jetzt wird der Blick zum Gipfelgrat frei. Vielleicht noch zwei, drei Stunden. Hinein in den nächsten steilen Anstieg. Doch plötzlich ziehen Wolken über uns auf und als wir auf dem Grat stehen, beginnt ein scharfer Wind zu blasen und zu schneien. Wir gehen erstmal weiter. Ein überwächteter Grat folgt und dann ein steiler 100 m langer Quergang. Der Schneefall wird immer stärker. Die Sicht liegt bei 10 Metern. Mitten am Grat, dem Wind voll ausgesetzt, beginnen wir mit sichern. Wir wollen den Quergang verfixen und dann möglichst noch zum Gipfel. Doch der Quergang ist lang und schwierig, und während sich Ole vorwärtskämpft, kühlen wir völlig aus. Eine Stunde stehen wir fast bewegungslos an dem steilen Grat. Mittlerweile sind unsere 40 cm tiefen Spuren vom Aufstieg kaum noch zu sehen und wir beschließen den Abbruch. Es fehlen uns nur noch die 100 Höhenmeter entlang des Schlussgrates zum Gipfel. Wir verfluchen das Wetter, aber wir müssen sehen, das wir runterkommen, den Rückweg finden. 14.00 Uhr: wir kämpfen uns abwärts. Unsere Spuren sind wirklich schon weg, wenige Augenblicke ist die Sicht mal bis 100 m und es schneit ununterbrochen, dazu immer noch der kalte Wind von vorn. Zum Glück kann sich jeder an ein paar Details des Aufstiegs erinnern und so können wir uns die richtige Abstiegsroute zusammenpuzzeln. Ziemlich erschöpft und durchgefroren erreichen wir endlich die schützenden Zelte. Wir sind sehr froh darüber und fallen uns um den Hals. Dann rein in die warmen Schlafsäcke, es dauert lange, bis wir wieder warm werden. Abends noch ein grandioses Wetterleuchten, in der Nacht setzt ein Sturm ein.

22. April - Es stürmt immer noch, aber blauer Himmel und gute Sicht. Schon abends hatten wir den Abstieg beschlossen, die letzten beiden Tage waren sehr anstrengend, ein sofortiger zweiter Versuch wäre nicht sinnvoll. Nach Benachrichtung per Funk steigt unsere zweite Gruppe mit Elli, Thomas, Werner und Ray heute ins Camp 2. Wir treffen sie am East Col. Wir unterhalten uns eine Weile und informieren über die Route. Ray fühlt sich nicht besonders und kehrt mit um. Die anderen drei gehen witer ins Lager 2. Wir steigen ab ins Camp 1. Ray will noch eine Nacht hier bleiben, wir anderen vier steigen ins Basecamp ab. Gegen 17.00 Uhr erreichen wir das Lager. Eine ganz schöne Mammuttour von da oben bis hier runter. Per Funk erfahren wir, daß die anderen drei Lager 2 erreicht haben. Aber Werner und Elli fühlen sich nicht besonders gut und so wollen sie am nächsten Tag ins Camp 1 absteigen was sie dann auch tun. Ein neuerlicher Aufstieg ins Camp 2 am Tag darauf wird durch schlechtes Wetter verhindert. Es schneit die ganze Nacht durch. Auch im Basislager ununterbrochener Schneefall.

Mittlerweile machen wir neue Pläne. So knapp vorm Ziel wollen wir natürlich nicht aufgeben. Am 26. April wird die erste Vierergruppe noch einmal aufbrechen, um dann bei hoffentlich besserem Wetter zwei Tage später auf dem Gipfel zu stehen. Im Versatz von zwei Tagen folgen uns Elli und Thomas. Werner wird wie geplant mit der Trekkinggruppe das Basislager verlassen und leider auch Ray. Auf Grund seiner vorhergehenden Erkältung und dem Problem mit dem Weisheitszahn kommt er diesmal mit der Höhenanpassung nicht zurecht und sieht es als vernünftiger an, umzukehren. Schade, so sind wir nur noch sechs Leute. Aber Höhenanpassung läßt sich nunmal nicht erzwingen. Wichtig ist jetzt für uns, dass sich das Wetter stabilisiert, obwohl es im Moment gar nicht danach aussieht. Der Wetterbericht von Kathmandu hat zwar ein Hochdruckgebiet gemeldet, aber hier schneit es seit 20 Stunden und die Barometer zeigen Tiefdruck an. Zum Glück ist der Schneefall hier unten nicht so intensiv, wie vor zwei Jahren, als die Zelte unter der Schneelast zusammenbrachen. Aber im Camp 1 liegen 30-40 cm Neuschnee, wie uns Elli, Thomas und Werner berichten, die gerade von da oben zurückgekommen sind. Na wir werden sehen, wie sich alles entwickelt. Genug Zeit haben wir ja noch. Morgen, am 25. April, kommt die Trekkinggruppe an und wir werden bestimmt eine kleine Feier machen.

Herzliche Grüße im Namen aller Expeditionsmitglieder Frank Meutzner

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