Der Bericht

Text von Frank Meutzner

Dresden im Dezember 1998

Die Expedition

Seit der Grenzöffnung stürmen die sächsischen Bergsteiger nicht nur in die Alpen, Anden und nach Amerika. Auch das Dach der Welt, der Himalaya, lockt immer wieder. Insbesondere die Achttausender strahlen einen ganz besonderen Reiz auf die Bergsteiger aus. Und so gab es bis jetzt sächsische Expeditionen zum Shisha Pangma, Nanga Parbat, Broad Peak, Mount Everest und Cho Oyu. Nicht immer waren es die selben Alpinisten die daran teilnahmen. Aber eins war immer gleich, der in unseren Augen sportlich faire Vorsatz, keinen künstlichen Sauerstoff zu verwenden und auf den Einsatz von Hochträgern zu verzichten. Und nur wer sich intensiv mit dem Alpinismus beschäftigt, kann diesen Unterschied zu anderen Expeditionen werten.

Für die Sächsische Himalaya Expedition 1998 stand nun der Makalu im Mittelpunkt der Pläne. Der Anblick des "Schwarzen Berges", wie er auch von den Einheimischen genannt wird, hatte schon vor Jahren bei Götz Wiegand und mir den Gedanken an eine Expedition dorthin ausgelöst. Während Götz den fünfthöchsten Berg der Erde ,im Frühjahr 1996, von einem Sattel östlich des Mount Everest aus sah war ich schon ein Jahr vorher im Makalugebiet unterwegs, bestieg den Südostgipfel des Makalu III und blickte vom Basislager auf die gewaltigen über 3000m hohen Süd- und Südwestabstürze des Makalu. Wir waren beide fasziniert von der anmutigen Gestalt dieses riesigen Berges. Als wir uns dann 1997 am Cho Oyu kennenlernten und auf dem Rückweg über ein gemeinsames Ziel für 1998 nachdachten, war ganz schnell der Makalu im Gespräch.
Aber noch ein anderer Achttausender hatte es einigen Expeditionsmitgliedern besonders angetan, der Mount Everest. Und auf Grund der Erfahrungen der "1. Sächsischen Mount Everest Expedition 1996", der nach wie vor ungebrochenen Faszination des höchsten Berges der Erde sowie der guten Zusammenarbeit mit den nepalesischen Partnern beschloßen drei Expeditionsteilnehmer (Götz Wiegand, Jörg Stingl und Heiko Züllchner) nach einem eventuellen Erfolg am Makalu und einer Erholungsphase in Kathmandu, dann nach Tibet zum Mount Everest zu fahren. Das Permit dafür und andere Kosten hätten erst nach der Rückkehr vom Makalu bezahlt werden müssen. Das dies ein sehr hoch gestecktes Ziel war, war allen klar, taktisch aber richtig. Erst an einem kleineren Achttausender akklimatisieren und dann im alpinen Stil bestens akklimatisiert an den Everest. Daß es prinzipiell so funktioniert, haben andere schon bewiesen, das aber der Makalu als Akklimatisationsberg nicht geeignet ist sollte sich zeigen.

Makalu Hauptziel der Expedition war aber der Makalu. Er ist mit 8463m der fünfthöchste Berg der Erde und zählt zu den anspruchsvollen Achttausendern und wird im Vergleich zu anderen relativ selten besucht. Die Gründe dafür liegen sicher nicht nur in den häufigen Wetterkapriolen sondern auch an den hohen konditionellen und technischen Anforderungen.
Beide Berge sollten entsprechend unserer sächsischen Auffassung vom Bergsteigen "by fair means", daß heißt ohne die Verwendung von zusätzlichem Sauerstoff und ohne den Einsatz von Hochträgern durchgeführt werden.
Das erste mal trafen wir uns Ende August 1997 und beschlossen die Expedition durchzuführen. Dann ging das übliche Vorbereitungsspiel los.


Hier ein paar Expeditionseindrücke von Heiko Züllchner:

Das wahre Ziel ist nicht,
die äußerste Grenze zu erreichen,
sondern eine Vollendung,
die grenzenlos ist.

Rabindranath Tagore

Vorbereitung:
Es ist November geworden im Sachsenlande. Kaum noch Blätter auf den Bäumen. Kahl. Dichter Nebel bedrückt die Stimmung. Starker Wind, dann wieder freundlich, sonnige Tage und kurz darauf schnelle, tiefziehende Wolken und wieder Regen, Regen, Regen.
Es sind die Tage im Jahr, wo alle Menschen Trübsinn blasen. Ja, und gerade in dieser Zeit eine Expeditionsvorbereitung in die heiße Phase eintreten lassen zu müssen, ist besonders schwer. Man muß sich unwahrscheinlich überwinden und ständig neu motivieren. Doch wir sind gut drauf. 3 bis 4 Tage in der Woche wird hart trainiert. Jeder absolviert jetzt schon sehr intensiv sein individuelles und ganz spezielles Trainingsprogramm. Das reicht von 100km-Wanderungen oder 50km-Waldläufen in der Heide und Trainingstouren in der Sächsischen Schweiz übers Treppensteigen in einem 17-Stockwerke-Hochhaus mit einem 40kg-Rucksack bis hin zum Schwimmen um 6 Uhr morgens im 50m-Becken der Schwimmhalle Freiberger Straße.

Ab Oktober`97 trafen wir uns dann regelmäßig jeden Montag, nun schon traditionell, in der Dresdner Szenekneipe "Cholera" .Nach dem Hin- und Her einiger Teilnehmerkanditaten stand Ende 1997 dann die Expeditionsmannschaft fest. Alle Expeditionsteilnehmer hatten schon Himalaya Erfahrung und die 7000er bzw. 8000er Grenze überschritten.
Durch die gemeinsame Vorbereitung festigte sich der kameradschaftliche Bund dieser Expedition, bei der vielleicht der erste Sachse auf dem Makalu und/oder Mount Everest stehen würde. In der sich langsam formierenden, diesmal äußerst schlagkräftigen Truppe wurden einzelne organisatorische Aufgaben auf die Mitglieder verteilt. Die Organisation der Expedition kostete uns wieder viel Zeit und Nerven. Ausrüstungs- und Verpflegungslisten zu erstellen und abzuarbeiten war dabei genauso wichtig wie z.B. die Abklärung der Solarstromversorgung, das Erstellen der Grußpostkarte oder die Organisation der Trekkingtour und dabei nicht zu vergessen stand natürlich wieder das leidige Problem der Finanzierung an. Bei dem ganzen Vorbereitungsstreß mußte man darauf achten, daß das Training nicht zu kurz kam. Nach der schlechten Erfahrung im letzten Jahr mit der dubiosen Firma IMC, die jetzt übrigens ITMC heißen und genauso dubios arbeiten soll, haben wir uns um die Besorgung der Permits und Flüge sowie der Organisation der Logistik wieder selbst gekümmert und es sollte wieder bestens funktionieren. Da Kameramann Stefan Urlaß leider nicht mitfahren konnte, ließ sich George in die Geheimnisse der professionellen Handhabe der Videokamera einweisen. Einen Expeditionsarzt konnten wir trotz intensiver Bemühungen leider nicht finden und so ließen wir uns in Spezialkursen von Frank Gräfes Frau, die Ärztin ist, das Notwendigste einer ersten Grundversorgung erläutern.
Ende Februar war dann endlich alles geschafft. Einen großen Teil unserer in Plastefässer verpackten Ausrüstung wurde per Luftfracht nach Kathmandu geschickt und gemeinsam mit den Freunden konnte man sich bei der Abschiedsparty im Bärenzwinger auf die große Aufgabe der Vernichtung von 1000 l Freibier stürzen, was natürlich überhaupt kein Problem war.
Und dann konnte es endlich losgehen. Im Gegensatz zu den letzten beiden sächsischen Expeditionen, wo die Anreise ins Basislager per Jeep über Tibet erfolgte, soll es diesmal von der nepalesischen Seite über eine zehntägige schöne Trekkingtour ins 4700 m hohe Basislager am Makalu gehen. Dies soll schon vor der Gipfelbesteigung ein bleibendes Erlebnis sein, versprach uns jedenfalls Meutz, der diese Tour 1995 schon einmal gegangen war.

Anreise:
Die guten langjährigen Freunde machen aus der Umarmungsprozedur eine stimmungsvolle Feier. Es ist eine herzliche Verabschiedung der Sächsischen MAKALU Expedition auf dem Dresdner Hauptbahnhof - "Großer Bahnhof auf dem Bahnsteig" -Der Zug ruckt an. Hoffnungsvolle Freude beherrscht die Szenerie. Letzte Worte und Blicke werden gewechselt und die laut winkende Menschentraube entschwindet in der hell erleuchteten Bahnhofshalle. Unaufhaltsam beginnt das monotone Rattern der Waggons...

Am 10. März ging es endlich per Flugzeug mit der Fluggesellschaft Biman von Frankfurt/M. über Dhaka nach Kathmandu wo wir von Asian Trekking, unseren nepalesischen Partnern, herzlich empfangen wurden. Hier gab es dann noch einiges zu organisieren und abzuklären und die komplette Kommunikationstechnik mußte getestet werden. Sieben Tage vergehen, bevor wir am 18. 3. mit dem Hubschrauber Kathmandu verlassen.

Marsch ins Basislager:
Und es sollte das versprochene, bleibende Erlebnis werden. Utopische Schneehöhen lassen allerdings einen Gepäcktransport ins Basislager mittels Sherpaträgern nicht zu und so wird unsere tonnenschwere Nutzlast per Hubschrauber direkt ins Basislager geflogen. Wir bestehen aber eisern auf unsere Tour und wir sollten sie, wenn auch auf ein wenig verkürzt, als etwas Besonderes erleben. So bringt uns der Hubschrauber dann nach Tashigoan und fliegt von dort weiter ins Basislager.

 Der russische Hubschrauber bringt uns nach Tashigoan

Während der neun Tage, die wir für den Marsch ins Basislager benötigten, konnten wir uns aktiv akklimatisieren. Das Wetter und der viele Schnee machten uns und besonders den Trägern schwer zu schaffen. Nach fünf Tagen Nebel, Regen und Schnee waren unsere Sachen völlig durchnäßt und wir moralisch ziemlich am Boden. Aber dann geschah das Wunder und am Morgen des 25.3. scheint uns in Jark Kharka (4300m) endlich die Sonne ins Gesicht. Wir nutzen den Tag zum Trocknen der Sachen.

 George breitet seinen völlig durchnäßten Schlafsack zum Trocknen aus

Am folgenden Tag erreichten wir überglücklich das 4750 m hoch gelegene Basislager. Wir sind die erste Expedition dort und können uns so die besten Zeltplätze raussuchen. Wir bauen das Big One 6 als Mannschaftszelt auf und ein Sherpa Dome dient uns als Technikzelt. Von hier blicken wir direkt auf die gewaltigen Süd- und Südwestabbrüche des Makalu.

Dieses Camp war nun unser zu Hause für knapp 2 Monate - Basis, Heimstatt, Heimat.

 Das Basislager am Fuße des gewaltigen Bergmassivs

Nach sehr stürmischer Nacht erwartet uns ein klarer Morgen. Das Krächzen der Bergdohlen bringt an solch einem schönen Morgen erstes Leben in die froststarrende, stille Gletscherlandschaft. Auf alle Fälle und total real schweben später wieder Schneeflocken tanzend aus den Wolken.

Die ersten vier Tage im Basislager sind eine wahre Katastrophe. Unsere Erkundungstour zum ABC endet im weglosen Geröll, starker Schneefall läßt unser Mannschaftszelt zusammenbrechen und zu guter Letzt zerstört ein orkanartiger Sturm noch einen Teil unserer Ausrüstung.

Sherpas trugen einen Teil unserer Ausrüstung später noch 8km weiter ins vorgeschobene Basislager (ABC, 5200m).

 Mingma schippt das völlig verschneite Küchenzelt frei

Schlafstörung im ABC:
Am 1. April, es ist kein Scherz, steht das ABC in 5200m Höhe, ein Weg durchs zugeschneite Blockgeröll ist gefunden und das von der Erkundung zurückgelassene Depot geräumt.

Langsam überfällt mich eine dumpfe Schwere. Müdigkeit zieht die Lider zu. Wieder wache ich auf. Es rieselt aufs Zelt. Schnee, schon wieder Schnee, der Makalu ist zugezogen. Bei uns hier im ABC nieselt es ganz leicht aber oben am Berg? Schnee, das heißt spuren, spuren... Ich sinke ins Schwarz der Nacht. Ich kann nicht schlafen und doch ich muß. Schlafen.

 Der Weg vom Lager 1 zum Lager 2 führt über den Chagogletscher

Osterspaziergang zum Lager 2:
Dann am halben Hanganstieg zum Lager 2 beißen sich Schnee- und Eiskristalle ins Gesicht. Es wird ungemütlich und ich treibe mich zur Eile, da der Wind stärker wird. Die Spuren der Vorausgehenden sind schon lange nur noch zu ahnen, das heißt, ich muß den Hang neu spuren! Doch warm wird mir nicht dabei. Irgendwie wird es langsam brenzlig, die Finger muß ich im Handschuh zur Faust ballen, um sie zu erwärmen und die Spur ist fast nicht mehr zu erkennen...

 Unser neues Camp 2 in ca. 6500 m Höhe, 900 Höhenmeter sind es von hier zum Sattel Makalu La

Äußerst anstrengend und langwierig gestaltete sich der Aufbau der Höhenlager. Sturm und starker Schneefall erschweren extrem die Aufstiege.

Mehrere Versuche sind nötig, um den richtigen Weg zu finden und die Lager aufzubauen. In den Lagern 1 (6100m) und 2 (6700m) mußte manchmal bei -15°C übernachtet werden. Das Lager 2, schon eingerichtet, wird vom Sturm völlig zerstört und muß etwas tiefer noch mal neu aufgebaut werden.

 Götz im unteren Teil der Rinne zum Makalu La Kampf um den Makalu La
Wir sind immer noch allein am Berg, keiner hilft uns beim Einrichten der Fixseilstrecke zum 7400 m hohen Sattel Makalu La. Zwei volle Tage sind wir damit beschäftigt, die mühsam nach oben geschleppten Fixseile und Snowbars im Messnercouloir sicher zu befestigen. Die Arbeit ist anstrengend und zeitraubend. Wir schaffen es nicht ganz bis zum Sattel. In ca. 7150 m Höhe legen wir ein kleines Depot an, wo wir weitere Fixseile, Snowbars, Kletterseile, Kocher, Kartuschen und Zelte für unseren Gipfelversuch lagern. Dann endlich heißt es absteigen ins Basislager, drei volle Tage ausruhen für den Gipfelangriff.


Und von dort sendete ich optimistisch folgende Zeilen per Laptop und Satelittentelefon in die Heimat:
Hallo Freunde,
ganz schnell das Neueste. Wir gehen morgen zu sechst los zum Gipfelsturm. 
Folgender Ablauf ist geplant:

20.4.98	 Aufstieg ins Abc
21.4.98	 Aufstieg ins Camp 1  6000 m
22.4.98	 Aufstieg ins Camp 2  6500 m
23.4.98	 Aufstieg zum Makalu La (7400 m) und ein Stück oberhalb Aufbau 
	 des Camp 3, im Messnercouloir noch die restlichen notwendigen 
	 Fixseile legen
24.4.98	 Weiter geht's im sog. alpinen Stil d.h. Zelte aufbauen und weiter, 
	 lange Querung der Nordwand und Aufbau des Camp 4 auf ca. 7900 m
25.4.98	 Gipfelangriff und möglichst Gipfelsieg und Abstieg wenn möglich,
	 bis Camp 3 oder Camp 2
26.4.98	 weiterer Abstieg bis ins ABC
27.4.98	 Abstieg ins BC und Empfang unserer Trekkinggruppe und Siegesfeier

Na, ja soweit unser Plan. das Wetter muß natürlich mitspielen und ich denke 
das wird das Hauptproblem werden. Am 25.4. ist Neumond und Mingmar unser 
Sirdar meint, da ist meist schlechtes Wetter. Wir hoffen auf großes Glück, 
die Sonne muß ja nicht unbedingt scheinen aber wenigstens kein Sturm, das 
ist wichtig. George und ich sind besonders unruhig da wir ja letztes Jahr 
schon wegen Sturm aufgeben mußten obwohl wir uns top fühlten. Ja also das 
Wetter ist hier schon besonders problematisch insbesondere der Wind und wir 
haben diesbezüglich dieses Jahr hier schon einiges durch. Diesmal haben wir 
zum Glück noch genug Zeit für einen zweiten Versuch. Das ist gut für die 
Moral. Ansonsten sind alle gesund, hochmotiviert und spannungsgeladen.

Viele Grüße von allen
Frank Meutzner

Für die folgenden Tage notiert Heiko in seinem Tagebuch:


Der erste Gipfelversuch:
Die Taktik ist klar, zu sechst werden wir es versuchen. Nur so haben wir eine Chance das viele Material noch weiter nach oben zu bringen, die Last auf viele Schultern zu verteilen. Am 20.4. starten wir. Drei Tage später erreichen wir Lager 2 und verbringen eine kalte aber ruhige Nacht.

Endlich geht es los. Rucksack packen, Zelte ausräumen und alles irgendwie zusammenpacken. Alles wird in den Rucksack gestopft, hier kommt es zum Glück nicht auf Schönheit an. Nur an das Rückenteil darf nichts Hartes. Die Zelte sind total vereist. Egal, auf den Rucksack geschnallt und los geht's...

Eine Schönwetterperiode nutzend, wurde am 23. April mit dem Sturm auf den Gipfel im Alpinstil begonnen. Frank Gräfe und ich mußten leider in 7150m Höhe, am Depot, umkehren und stiegen ins Lager 2, ab wo wir warteten. Karsten, George, Meutz und Götz errichteten nach weiteren anstrengenden, teils völlig vereisten bis 50 Grad steilen Passagen und weiteren verlegten Fixseillängen im Abendlicht das Lager 3 (7400m) im Makalu La. Zu viert in einem Dreimannzelt war es ganz schön eng aber es mußte gehen. Sie bauten es am nächsten Morgen wieder ab und suchten einen Weg durch den oberhalb des Makalu La befindlichen Gletscher. Auf 7800, 7900 m Höhe wollten sie das Zelt schaffen aber es zogen Wolken herauf und ein undurchdringlicher Nebel hüllte die Vier ein. Ohne Sicht in einem "whiteout" war es zu gefährlich weiter aufzusteigen und sie mußten schon in 7600m Höhe das Lager 4 errichten.

Sonnabend, der 25. April
Früh am Morgen hat sich der Nebel gelichtet. Sie kommen gut voran, legen noch ein paar Fixseile, doch in ca. 8000m Höhe verschlechtert sich das Wetter, sie gehen weiter, doch später setzt starker Schneefall ein und die Sicht geht wieder gegen Null.. Es ist ein Kampf gegen die Naturgewalten. Eiskalte Füße, Angst vor Erfrierungen und das zunehmend schlechte Wetter zwingt sie weit oben dann nacheinander alle zum Rückzug. Jetzt werden die Bewegungen plötzlich unendlich langsam und sie schaffen es nicht vor der Dunkelheit zum rettenden Lager. In der eisigen Nacht bei ca. 30 Grad minus und Neumond erkennen sie im Stirnlampenlicht nur schemenhaft die Umgebung, den nun tiefverschneiten Weg zum Zelt finden sie nicht mehr. Die Kälte beißt in Zehen- und Fingerspitzen. Immer wieder bleiben sie stehen, um sie zu erwärmen. Die ganze Nacht suchen sie vergeblich das Zelt und steigen dann verzweifelt zum Makalu La ab. Das Morgengrau weicht dem Tageslicht.

Nach 36-stündigem Kampf erreichen sie völlig erschöpft das Lager 2, wo sie schon mit Tee und Essen erwartet werden. Später wird die böse Vorahnung zur Gewißheit. Es hat Erfrierungen gegeben. Während George, Götz und Karsten ins Basislager absteigen können, muß sich Meutz von der Ärztin einer bulgarischen Expedition, die mittlerweile eingetroffen ist, behandeln lassen und ins Basislager getragen werden. Zwei Tage später fliegt er mit dem Rettungshubschrauber ins nächste Krankenhaus nach Kathmandu.


Für mich stellt sich der Gipfelversuch später so dar:

Nach stundenlangem Anziehen in dem engen Zelt und Kochen starten wir vier Uhr am nächsten Morgen. Es ist eisig kalt,und bald habe ich kalte Füße. Aber durch das Laufen werden sie langsam warm. Es geht gut voran und wir sind sehr optimistisch. Dann versperrt uns der Eisbruch den Weg. Wir suchen einen Weg dort hindurch. Während George es weiter oben probiert, suche ich weiter unten und habe Glück. Ich finde ein Stück eingefrorenes altes Fixseil, hier muß der Weg sein. Und wirklich, hier geht es durch. Wir müssen teilweise sichern. Danach wird es wieder leichter.
Noch scheint die Sonne und es wird so warm, daß ich die Daunenjacke ausziehen kann. Aber die ersten dunklen Wolken ziehen auf. Wir steigen weiter auf. Es geht durch den riesigen Schneekessel hinauf zum Einstieg in die Rinne, die zum Gipfelgrat führt. Eigentlich wollten wir über diese Route, den Weg der Franzosen die den Berg 1953 als erste erstiegen haben, zum Gipfel. Aber die Rinne zum Grat sieht unbegehbar. Es liegt kaum Schnee darin . Der Sturm der vorhergehenden Tage hat den Schnee rausgeblasen. Deshalb wollen wir weiter rechts probieren über die sogenannte Messnerroute.
Mittlerweile sind wir auf ca. 8100 m Höhe Es hat sich zugezogen und es schneit stark. Ich bin etwas hinter den anderen zurück die Schlepperei der letzten Tage hat mich ganz schön gefordert. Unsere Aufstiegsspuren sind zugeschneit und das Wetter sieht bedrohlich aus. Ich denke ,daß es besser ist umzudrehen. Es ist noch ein ganzes Stück bis zum Gipfel und ich habe Angst das es eine Nachtaktion wird, habe Angst vor Erfrierungen und genug Zeit für einen zweiten Versuch haben wir ja auch noch. Ich brülle den anderen hinterher, daß sie warten sollen, schließe auf und erkläre Ihnen meine Bedenken.
Götz erklärt sich bereit, mit abzusteigen. Karsten und George wollen noch weiter. So richtig kann ich das nicht verstehen. Aber vielleicht sehen es die beiden ganz anders.

In sein Tagebuch schreibt Karsten Kügler später:
Es lief gut, in Gedanken sehe ich mich schon auf dem Gipfel, daß wir auf dem Rückweg in die Dunkelheit kommen würden war mir klar. Ich setzte volles Vertrauen in meine Stirnlampe. Beim gleichmäßigen, langsamen und monotonen Gehen merkte ich gar nicht, daß der Schneefall stärker und stärker wurde und schon zwei Stunden anhält. Wir stiegen weiter. George kommt vor mir kaum noch voran. Das Überwinden einer Eisbarriere bereitet große Probleme, der Schnee bietet keinen Halt. Plötzlich standen wir beide bis zur Brust in einer Neuschneelawine. Das und unser immer langsameres Vorankommen waren für mich Grund genug, jetzt hier auf ca. 8200m Höhe umzukehren, auch wenn diese Entscheidung so kurz vor dem Gipfel so entsetzlich schwer fiel.

Und George notierte sich dazu:
Ich muß am Meutz denken, und ich versuche seine Entscheidung irgendwie zu verstehen. Für mich ist klar, daß wir die Chance haben den Gipfel zu erreichen. Es liegt viel Neuschnee in der Wand doch ich fühle mich stark. Eine steile Eiswulst liegt vor uns, vielleicht 3m hoch. Ich schaue weiter nach oben und sehe den Gipfel, kaum mehr als 200 Höhenmeter entfernt. Es ist Nachmittag und ich weiß, das wir in die Nacht kommen werden, wenn wir schnell sind erst im Abstieg. Plötzlich löst sich eine weiße Wand aus weißem Pulver direkt vor uns. Ich versenke meine beiden Eisgeräte so tief es geht im Firn und muß abwarten Karsten zeigt ebenfalls Aktion, dann ist alles weiß. Das Atmen fällt schwer, überall Schnee. Nach ca. Einer Minute, und die kann verdammt lang sein, liegt der Gipfel wieder klar vor mir. Sauber abgefegt von einer, zum Glück wirklich kleinen, Neuschneelawine.
Karsten brüllt von unten:" Hey, George, denk von mir was Du willst. Ich hau jetzt ab hier."
Wahrscheinlich realisiert er besser, daß es wieder mal sehr knapp war. Ich überlege noch allein weiterzugehen - Blödsinn, es ist spät und ich muß einsehen, daß wir kaum noch vorwärtskommen wegen des Schnees und so beschließen wir die Umkehr. Ich fühle, daß ich diese Stelle nicht nochmal erreiche und werde innerlich ganz ruhig. Ich weiß diese Nacht wird noch lang werden. Weiter unten sehen wir die Freunde.

Ich bin froh, die beiden im Abstieg zu sehen. Die Aufstiegsspuren sind sind nicht mehr zu finden. Kein Wunder, ca. 30cm Neuschnee liegen., die Konturen des Geländes die wir uns beim Aufstieg eingeprägt habe, sind völlig verändert. Den Weg durch den Eisbruch müssen wir lange suchen, aber irgendwann finden wir ihn doch.
Mittlerweile ist es 22.00 Uhr und ziemlich finster. Es ist Neumond und der Schein der Stirnlampen reicht gerade mal bis zu den Füßen. Bei dieser Kälte,25°minus, halten die Batterien nicht mehr allzulange. Wir sind geschafft aber trotzdem guter Stimmung, denn wir wissen, max. noch eine Stunde bis zum rettendenden Lager,dann die eiskalten Füße in den Schlafsack, heißen Tee und was zu essen. Der Gedanke daran gibt Kraft.
Aber dann das Unfaßbare, es vergeht eine Stunde, eine zweite und kein Lager ist zu sehen, wo sind wir, wo ist das Zelt. Wir bilden Suchtrupps und schwärmen in alle Richtungen aus. Auf einmal ist Karsten verschwunden, was nun, er antwortet nicht auf unser Rufen und Pfeifen, wir denken er hat das Zelt gefunden. Er stößt erst am nächsten Tag wieder zu uns, und erzählt, daß er ein Sitzbiwak gemacht hat bis es anfing zu dämmern. Und dann sah er das Zelt. Unsere Spuren führten nur ein-,zweihundert Meter daran vorbei.
Seit Stunden spüre ich meine Zehen nicht mehr, und meine Angst vor Erfrierungen wird immer größer deshalb treibe ich zum weiteren Abstieg Wir wissen, daß im Makalu La ein Zelt steht von einer anderen Expedition, Frank und Heiko ,die im Lager 2 warten hatten es uns gefunkt. Das ist jetzt unser Ziel. Nur der Chomolönza und der Makalu 2 dienen uns noch als Orientierung. Früh gegen sechs Uhr erreichen wir den Sattel. Auch andere Expeditionen scheinen hier schon dramatische Stunden erlebt zu haben. George steigt weiter ab, Götz und ich machen drei Stunden Pause dann geht es weiter die Rinne hinunter.
Mein Pickel ist abgebrochen, ich nehme eine Eisschraube als Ersatz, bloß gut das wir die Fixseile gelegt haben. Da sehe ich aufeinmal eine Trinkflasche an eine Markierungsstange gebunden. Habe ich jetzt schon Halluzinationen? Möglich wäre es schon. Vor zwölf Stunden habe ich den letzten Schluck aus meiner Flasche getrunken. In dieser Höhe wo man eigentlich sechs bis sieben Liter an einem Tag trinken soll ist das nicht so gut. Aber es ist wirklich eine Flasche mit Tee. Frank hatte sie dort hinauf gebracht. Das nenne ich echte Kameradschaft.
Nach 36 Stunden erreiche wir das Lager 2. Todmüde krieche ich in das Zelt und ziehe meine Schuhe aus, was ist mit meinen Zehen, in einigen habe ich kein Gefühl und sie sehen dunkel aus. Aber ich denke so gefährlich sieht es ja noch auch nicht aus, habe aber eine böse Vorahnung. Während Frank und ich noch eine Nacht hier oben bleiben steigen die anderen weiter ab.
Am nächsten Tag gehts weiter runter, zum Bulgarencamp, es ist schon sehr problematisch bis dahin. Die bulgarische Expeditionsärztin erwartet mich schon, Schuhe aus und dann pures Entsetzten, aufgedunsene Füße und Blasen, Aber die Ärztin beruhigt mich, sie sagt, es werden keine Amputation nötig sein. Eigentlich will ich ja weiter absteigen denn unten im Basecamp wartet Antje, sie hat Geburtstag, aber daraus wird nichs nichts. Statt dessen werde ich an den Tropf gehangen und bekomme Spritzen.
Am nächsten Tag soll ich runtertragen werden, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen wie das gehen soll, 75 Kilo darunter schleppen. Aber die Träger haben Erfahrung damit. Aus einem Tragekorb bauen sie einen Sitz und los gehts. Mingmar und 2 Helfer kommen entgegen und übernehmen mich. Es ist unglaublich was sie leisten. Sie feuern sich gegenseitig an und machen eine Art Wettrennen daraus. Und das wo der Weg fast nur üblen Schotterfeldern besteht. Wenn ich runter gelaufen wäre , wäre ich keinesfalls schneller gewesen. Endlich erreichen wir das BC. Hier warten die Freunde und Antje. Unser Treffen hatte sie sich bestimmt auch anders vorgestellt.
Wir beraten wie es weitergehen soll. Die anderen wollen noch einen zweiten Versuch machen. Götz und George hoffen, daß ihre angefrorenen Zehen schnell wieder in Ordnung kommen. Für mich wird es das beste sein auszufliegen und wir rufen den Hubschrauber.

 Der Hubschrauber bringt Meutz zurück nach Kathmandu Schon am nächsten Tag kommt er, ich kann es eigentlich noch gar nicht so richtig fassen, was eigentlich passiert ist, hinke zum Hubschrauber, Antje begleitet mich.
Im Hubschrauber wird mir dann bewußt, das war´s für Dich, wieder kein Gipfel, innerhalb von 3 Tagen von über 8000 m runter, heraus aus einer grandiosen Gebirgswelt zurück in eine Ungewissheit. Ich hoffe, das die Ärztin recht behält und ich keine Zehen verliere, ich werde herausgerissen aus meiner Traumwelt, mir laufen Tränen über die Wangen.



Über die nächsten beiden Versuche notiert Heiko in seinem Tagebuch:


Der zweite Versuch:
5.5.98: Götz, Karsten, George und ich starten noch einmal. Doch schon im Bulgarencamp (ca. 5600 m) kommt das Aus für Götz und George. Die Ärztin warnt eindringlich davor, mit den angefrorenen Zehen weiter aufzusteigen. Sie steigen völlig enttäuscht aber zum Glück einsichtig ab. Der Traum vom Everest ist wieder einmal gescheitert bevor man überhaupt am Berg ist. Karsten und ich versuchen es nun allein am Makalu, ich mußte im Lager 3 aufgeben. Karsten ging weiter zum Lager 4 und mußte voller Entsetzen feststellen, daß dieses zerstört war. Einen großen Teil unserer Ausrüstung konnte er noch retten und kämpfte sich schwerbepackt im Sturm zurück. Abstieg für alle ins Basislager. Eigentlich ist die Expedition beendet, es geht nach Hause. Nur einer will und kann noch bleiben.

Letzter Versuch:
Später, alle waren schon abgereist und einige Ruhetage waren vergangen, da stieg Götz noch einmal auf. Die Zehen hatten sich ein wenig erholt. Vom Lager 4 der anderen Expeditionen in ca. 7850m Höhe kam er noch zweimal über die 8000m-Grenze. Doch nach entbehrungsreichem, zähem Kampf mit der Höhe und der ständig gegenwärtigen Kälte, die vor allem seinen angegriffenen Zehen zu schaffen machte, mußte auch er sich geschlagen geben.

In den Tiefen des Himalaya schlummern noch so manche Gefahren und Geheimnisse, doch

Die Abenteuer entstehen im Kopf,
in deinem Kopf
und sind sie nicht in deinem Kopf,
dann suche sie!
André Heller
val victi
(lat.) Wehe den Besiegten!

Danksagung

Wir danken ganz herzlich all denen, die durch ihre moralische, finanzielle und sonstige Unterstützung die Durchführung der Expedition ermöglichten. Ohne die Hilfe unserer Bergkameraden, Freunde, der vielen Interessenten für unsere Grußpostkarte sowie unserer Sponsoren wäre die MakEv`98 nur ein Traum geblieben. Ein besonderer Dank gilt unseren Familien für ihren Mut, die Toleranz und Förderung des großen Vorhabens. Viel Liebe und Vertrauen waren von Nöten, um dieses gefährliche Abenteuer gut vorbereitet angehen zu können. Einen herzlichen Gruß von dieser Stelle an unsere Trekkinggruppe. Es hat Spaß gemacht mit Euch.


Gedanken Monate später
Während ich hier im Krankenhaus liege und auf die entstandenen Lücken in meiner Zehenreihe starre, habe ich genug Zeit, die Expedition noch einmal zu überdenken. Und immer wieder höre ich die Fragen; war es dir das nun wert und wirst du wieder in die Berge gehen? Meist antworte ich mit den Gegenfragen; welcher Autofahrer würde losfahren wenn er hundertprozentig wüßte, daß er einen Unfall erleidet und welcher Autofahrer hört mit Fahren auf, weil er einen Unfall hatte?
Je intensiver ich über die Expedition nachdenke, desto zufriedener werde ich. Für viele ist das vielleicht unverständlich, da doch keiner von uns den Gipfel erreichte. Doch die Umstände, wie wir dieses Jahr am Berg agierten, waren für alle neu und beeindruckend. Nur zu sechst waren wir wochenlang völlig allein an diesem riesigen Berg, haben jeden Meter selber gespurt, jedes Gramm selbst hochgeschleppt und die Route ganz allein eingerichtet. Wenn ich an die Expedition im letzten Frühjahr zum Cho Oyu denke, so mußte ich in diesem Jahr erheblich mehr leisten, um dem Gipfel näher zu kommen. Warum der Gipfel letztendlich nicht erreicht wurde und es zu dieser verhängnisvollen Nacht kam, kann keiner genau sagen. Zu viele unglückliche Umstände spielten zusammen und wir haben gewiß auch Fehler gemacht. Die Berge bleiben eben, auch wenn man sie schon länger kennt, unberechenbar. Doch wir haben viel erlebt, viel gelernt und vier von sechs Leuten sind dem Gipfel ziemlich nah gekommen. Alle sind wieder zu Hause und können wieder in die Berge gehen und das stimmt mich zufrieden.

Die Trekkingtour

Zufrieden waren auch die Teilnehmer an der von uns organisierten Trekkingtour, die auf große Resonanz stieß. Obwohl sehr spät angekündigt, nutzten ein Dutzend Trekkingteilnehmer aus Sachsen und Thüringen die Möglichkeit uns im Basislager zu besuchen und ein bißchen Expeditionsluft zu schnuppern. Die Tour führte durch den Makalu-Barun-Nationalpark, eine der eindruckvollsten und faszinierendsten Landschaften Nepals. Es, galt reißende Gebirgsbäche zu überqueren und 4000m hohe Pässe zu bezwingen. Die Trekkingteilnehmer mußten Sonneneinstrahlung, Regen, Schnee und Kälte trotzen, bevor sie nach einem 10-tägigen, anspruchsvollen Marsch das Basislager erreichten. Aber der Anblick von Makalu, Lhotse und Mount Everest ließ alle Strapazen schnell vergessen und beflügelte die Wanderer auf dem Rückmarsch. Mit einem abschließenden Besuch der Königsstadt Bhaktapur ging die knapp vierwöchige Reise erfolgreich zu Ende und Einige meldeten schon Interesse an, im nächsten Jahr bei einer neuen Tour zum Dach der Welt wieder mit dabei zu sein.

MakEv '98