Dhaulagiri-Basislager, 11.05.2003, 15.30 Uhr

Liebe Freunde, liebe Expeditionsbegeisterte,

wir sind gesund und munter vom ersten "Bergausflug" zurückgekehrt, haben Lager 2 erreicht und der Dhaulagiri zeigte uns wer hier das sagen hat. Als Berg der Stürme machte er seinem Namen alle Ehre. Doch zurück zur Chronik.

06.05.2003 Wie sitzen im Basislager und bereiten uns auf den Start vor. Der angekündigte Sturm ist doch nicht gekommen. Es kann auch sein das wir in diesem Fall durch die große Eismauer von Norden her geschützt waren. Denn am Dhaulagiri konnte man gut hören wie der Sturm gegen die Felswände krachte. Wir packen unsere Rucksäcke, legen alles für den morgigen Aufbruch zurecht. Wir haben uns so ausgerüstet das wir auf alle Eventualitäten eingestellt sind. Wir könnten sogar bis zum Gipfel. Aber da muß dann alles passen von unserer Akkli über die Kondition bis zum Wetter. Wir werden sehen.

Da ich erst mal die aufgenommenen Filmaufnahmen sichten muß gibts die nächsten beiden Tage aus der Feder von Götz Wiegand.

07.05.2003 3.00 Uhr klingelt der Wecker, es ist elendig zeitig und kalt.
Nach so vielen Ruhetagen fällt es uns allen sehr schwer um diese Zeit aus den Schlafsäcken zu kriechen. Aber das Wetter zeigt sich von der besseren Seite, es ist windstill und viele Sterne funkeln. Nach dem Frühstück und einer kleinen Abschiedszeremonie für die Götter geht es gegen 5 Uhr los. Rucksack auf und jeder von uns vieren geht erst einmal in die Knie. Wir haben alles für zwei Hochlager dabei und das Essen würde bis zum Gipfel und zurück reichen. Wir sind also perfekt ausgerüstet, aber das hat seinen Preis -unter dreißig Kilo im Rucksack zieht heute morgen keiner von uns los. Nüchtern betrachtet haben wir viel zu schweres Gepäck für die Höhe und die Länge der Etappe, aber es ist schönes Wetter, was am Dhaulagiri wohl zu den großen Ausnahmen zählt und wir wollen keine Stunde davon verschenken. Die erste Herausforderung des Tages und gleichzeitig der gefährlichste Abschnitt des Aufstieges zum Lager 1 ist die Querung der steilen Hänge unter der sogenannten Eigerwand. Über die gewaltige Felsflanke, die tatsächlich der Eigernordwand ähnelt, gehen bei Sonneneinstrahlung immer wieder Lawinen ab, die darunter befindliche Bergsteiger erbarmngslos in das Spalten und Seracgewirr des Dhaulagirigletschers mitreißen würden. Außerdem ist ständig mit Stein- oder Eisschlag zu rechnen. Das Schlimmste dabei ist, das man die Hänge oberhalb der Eigerfelsen nicht einsehen kann, das Unheil also im Verborgenen lauert und jederzeit unerwartet losschlagen kann. Wir sind aufgrund unserer schweren Rucksäcke sehr langsam als wir unterhalb die Hänge queren. Das einzige Mittel ist so schnell wie möglich über diese Stellen zu klettern. Das Herz rast und wir japsen nach Luft. Unter dem Gewicht der Rucksäcke gebeugt haben wir kaum einen Blick für die grandiose Umgebung. Endlich, nach 90 min haben wir die gefährlichen Abschnitte hinter uns, die Erleichterung ist greifbar.
Gegen Mittag stellt sich die Normalität ein, das Wetter verschlechtert sich. Es beginnt zuscheien. Wir schleppen uns den Hang zum NO-Col hinauf. Er ist steiler als gedacht, 30 Schritte, Luft holen. Inzwischen sind wir weit auseinander gezogen. Olaf Zill erreicht als erster den Platz für Lager 1 auf knapp 5900m Höhe. Inzwischenzeit stürmt und schneit es wie verrückt. Zwei Stunden später, gegen 16.00 Uhr kommt der letzte an. Wir sind alle erschöpft, haben schmerzende Schultern und Waden aber wir sind auch stolz das Tagesziel erreicht zu haben. Bald stehen unsere beiden Mountain Hardware Zelte sicher im immer stärker werdenden Schneefall. Hoffentlich wird das Wetter am nächsten Morgen besser.

08.05.2003 Das Wetter sieht gut aus, bereits ab 5.30 Uhr scheint die Sonne auf unsere Zelte. Doch der Scheefall hat in der Nacht ganze Arbeit geleistet. Alle Zelte im Lager sind eingeschneit. Von der Spur zum Lager 2 oder auch zurück ist nichts mehr zu sehen.
Als ich zwei Stunden später, immer noch müde von den Anstrengungen des Vortages aus dem Schlafsack krieche und das Zelt verlasse, bietet sich ein grandioser Anblick. Zum ersten Mal sehen wir unsere Aufstiegsroute, den NO-Grat aus der Nähe. Der Grat sieht imposant, aber durchaus machbar aus. Einige Sherpas der anderen Epeditionen, die mit uns im Lager 1 sind, steigen bereits auf. Es sind weite Schneehänge zu bewältigen ehe der eigentliche Grat aufsteilt. Dort, bevor die technischen Schwierigkeiten beginnen, wollen wir auf ca. 6600m Lager 2 errichten und wenn es uns allen gutgeht auch gleich übernachten.
Doch zunächst unternimmt Olaf Zill noch eine kleine Bergunsaktion. Im Zelt unserer beiden sächsischen Freunde Klaus und Matthias, die leider morgen das Basislager Richtung Heimat verlassen müssen, liegen noch Fixseile und Gaskartuschen, die wir nutzen wollen. Die beiden haben uns das Material überlassen, das sie nicht zurück transportieren konnten. Das Zelt ist bis zum Dach vollkommen eingeschneit und zusammengedrückt. Die Höhe des Hohlraums innen beträgt vielleicht noch 30 Zentimeter und es bereitet Olaf große Mühe das Material wenigstens teilweise zu bergen. Diese Aktion führt uns noch einmal deutlich vor Augen was für katastrophale Weterbedingunen hier in den letzten Tagen geherrscht haben müssen. Entsprechend sorgfältig überprüfen und verbessern wir noch einmal den Aufbau unserer Zelte.
Danach geht es aber endlich los - Richtung Lager 2. Die Rucksäcke sind etwas leichter als gestern, dafür erfolgt der Start der Etappe aber auch 1200m höher. Damit ist das Fazit das selbe - wir haben einfach zu viel Last für die Höhe, der Tag wird sehr anstrengend werden, und vielleicht ist es auch einfach nicht zu schaffen. Die ersten Stunden kämpfen wir außer gegen das Gewicht, gegen unsere Erschöpfung und Schmerzen noch gegen eine erbarmungslose Sonne. Mein neuer Daunenoverall, den ich wegen Gewichtseinsparung bereits jetzt angezogen habe erweist sich als Folterinstrument allererster Güte. Dann ziehen Wolken auf und wenige Minuten später klettern wir im "White Out". Wo wir sind? - na wahrscheinlich am Dhaulgiri, könnte aber auch überall sonst sein. Die Stunden ziehen sich dahin, wir sind schon über 6500m hoch, es gibt keinen Platz zum Zelten und wir sind ganz schön runter - das elende Geschleppe.
Da reisen die Wolken ein bißchen auf und wir finden, nahe an einer Gletscherspalte, einen geeigneten Zeltplatz. Das Gelände ist nur mäßig steil, wir können uns in den Hang graben und der Platz scheint auch vor Lawinen sicher zu sein.
Gut, das Tagesziel scheint erreicht und wir wollen mit dem Lageraufbau beginnen.
Da geschieht es, eine winzige Unachtsamkeit beim Auspacken der Rucksäcke und schon rollt ein Zelt über den steiler werdenden Hang. Schnell, immer schneller und scheller. Viele hundert Meter weiter unten verlieren wir den kleinen orangenen Sack aus den Augen.
Aus, das wars mit Lager 2 - zumindestens für heute, und mit weiterem Aufstieg und dem Anbringen erster Fixseile für morgen. Zu viert eine Nacht im Zweimannzelt in dieser Höhe ist einfach nicht möglich. Schnell legen wir ein Depot an, wir vergraben die Ausrüstung für Lager zwei und markieren die Stelle mit Fahnen. Danach beginnt der Abstieg Richtung Lager 1. Im wieder einsetzenden starken stürmischen Schneefall, dem auch unsere Aufstiegsspur zum Opfer fällt wird der Rückweg zur Quälerei, aber gegen 17.30 Uhr sind wir endlich, wenn auch erschöpft zurück an den Zelten.

Soweit die Eindrücke von Götz.

09.05.2003 Wieder bestes Wetter am Morgen. Eigentlich hatten wir uns schon damit abgefunden, ins Basislager absteigen zu müssen, um ein neues Zelt zu holen. Doch da kam uns das Glück zu Hilfe. Bei einem Gespräch mit den Bergsteigern von Amical über den weiteren Ablauf stellte sich heraus, dass sie ein Zelt zuviel haben da es zwei Leuten nicht so gut geht uns sie absteigen wollen. Und der größte Vorteil besteht darin das dieses Zelt bereits im Lager 2 liegt. Wir dürfen es benutzen. Vielen Dank dafür nochmal von dieser Stelle. Und so brechen wir gegen 9.30Uhr doch wieder auf. Irgendwie
erinnert mich das an Sysyphusarbeit. Tags zuvor hatten wir schon volle Rucksäcke, konnten zwar Zelt und etwas Esserei deponieren aber Schlafsäcke, Isomatten, Kocher, Töpfe usw.mußten ja wieder mit runter ins Camp 1 und nun wieder alles hoch. Dort wo sich unser Depot befindet wollen wir unser Lager errichten. Die anderen haben ihr Camp 200 Höhenmeter weiter oben. Aber von unten sieht es nicht lawinensicher aus und die Bergführer von Amical sagten das wahrscheinlich nicht genug Platz für alle Zelte da oben sei. Für uns nicht so dramatisch nur das einer hoch muß um das angebotene Zelt zu holen. Wir beschlossen, das derjenige dies tun soll, der an diesem Tag am besten zu recht kommt. Wir alle waren von der Schlepperei der letzten Tage ziemlich angeschlagen und auch jetzt waren es wieder um die 20 kg. Aber mein Rücken hatte sich wahrscheinlich am Besten daran gewöhnt und ich kam an diesem Tag gut voran. Nach 3 Stunden war ich am Depot und legte meinen Rucksack ab um danach weiter zu Camp 2 aufzusteigen um das Zelt zu holen. An einem Materialdepot von Amical ein Stückchen weiter oben für mich dann eine interessante Situation. In dem Depot lag noch einige Ausrüstung die nach Camp 2 mußte u.a. auch Fixseil. Da wir meiner Meinung nach an dem Berg nur eine Chance haben wenn wir alle zusammenarbeiten war es für mich ganz klar von dem Seil was mit hochzutragen. Noch dazu hatte ich ja keinen Rucksack. Die Bergführer und Teilnehmer bedankten sich mehrfach dafür worauf ich ganz erstaunt sagte das dies doch selbstverständlich sei. Und sie meinten nein, das wäre nicht selbstverständlich. So etwas hätten sie nur ganz selten erlebt. So unterschiedlich sind halt die Auffassungen und Erfahrungen. Wir einigten uns dann darauf das es so aber am Berg sein sollte. Im Lager 2, was dann 6700m hoch ist tauschten wir dann Seil gegen Zelt. Der Platz war dann doch viel lawinensicherer als gedacht und Platz ist reichlich, unsere beiden Zelte passen da auch noch mit hin. So ist dann auch der Weg von Camp2 zu Camp3 nicht mehr so weit. Am nächsten Tag werden wir dann das Lager hochschieben. Heute wird das nichts mehr. Es beginnt schon wieder zu stürmen. Ich nehme das Zelt und 20 min. später bin ich an unserem Depot wo die anderen schon begonnen haben eine Zeltfläche freizuschaufeln. Gegen 15.30 Uhr stehen unsere Zelte und das typische Wetter nimmt seinen Lauf, Sturm und viel Treibschnee. Die Nacht wird recht ungemütlich da einen der Lärm der flatternden Zeltwände immer wieder aufweckt. Erst gegen Morgen wird es ruhiger.

10.05.2003 6.00 Uhr, von einer Seite wird es hell im Zelt, die andere bleibt dunkel. Kein Wunder, bis knapp unters Dach eingeschneit oder besser eingeweht. Aber das macht nichts, denn draußen bestes Morgenwetter und einen Sperblick zu den umliegenden Bergen und windstill. Wird jetzt doch alles gut? Wir packen zusammen. Da kommen die Ersten abgestiegen. Auch da oben hat es viel Wind gegeben und man hat schlecht geschlafen. Außerdem weht dort oben schon wieder ein "traffes Lüftchen". Von
den Sturmfahnen am Gipfel mal ganz abgesehen. Es wollen alle runter zur Erholung ins Basecamp. Auch die Sherpas von Amical. Mit denen wollten wir eigentlich heute ab Mittag und morgen die Blankeisstellen ab Camp2 versichern. Na, vielleicht legt sich der Sturm oben und wir können heute noch was versichern. Wir wollen noch eine Nacht in Camp 2 verbringen, am nächsten Tag noch ein paar Fixseile legen und dann ins Basislager absteigen. So der Plan, doch es kommt wieder alles anders. Kaum haben wir die Rucksäcke aufgesetzt und sind die ersten 10 min. gegangen kommt der Sturm runter. Im Nu eiskalte Hände und die Schneekristalle schmerzen arg beim Auftreffen auf die rechte
Gesichtshälfte. Um so höher wir steigen um so schlimmer wird es. Die Aufstiegsspur ist sofort zugeschneit und wir kämpfen uns nach oben. 20 Schritt dann aus dem Wind drehen und versuchen das Gesicht ein bißchen zu wärmen. An eine weitere Nacht hier oben denkt keiner mehr. Nur noch Gepäck hoch, Depot anlegen und runter. Unten bei Camp 1 sieht alles friedlich aus. Endlich sind wir im Lager 2 angekommen. Kein Zelt steht mehr hier, man hat sicherheitshalber alles abgebaut. Wir graben ein großes Loch und mit klammen Fingern packen wir die Dinge aus dem Rucksack die hier oben bleiben können. Dann zugeschippt und mit mehreren 1,5 m langen Bambusstangen markiert. So wird uns hoffentlich die vergebliche Suche der Schweden und Chilenen nach ihren Depots erspart
bleiben. Sie hatten ihre Depots nicht oder mit 30 cm langen Stangen markiert.
Jetzt nichts wie runter. Der Sturm hat sich jetzt bis kurz vor das Lager 1 abgesenkt. Im Lager selber relativ ruhig. Schlafsäcke und Isomatten ins Zelt gelegt und weiter runter. Schön schnell geht das im Abstieg bis ins Basecamp, knapp 2 Stunden von Lager 1. 17.00 Uhr sind wir da. Hier unten hat sich einiges verändert, einige Flüßchen fließen und viel Schnee und Eis ist weggetaut. Freudig werden wir von Mingmar empfangen. Und er hat eine Überraschung für uns. Gestern sind die Leute unseres Küchenteams von Marpha hochgekommen. Haben ein neues Küchenzelt und ein paar Büchsen Bier hochgebracht. Das paßt doch. Denn heute hat Olaf Zill Geburtstag.

11.05.2003 Ruhe- und Waschtag. Wetter hier unten super aber oben die deutlichen Sturmfahnen und Geräusche. Auch der Wetterbericht sag die nächsten Tage Sturm vorher. Mingmar hat in Kathmandu angerufen. Auch dort ist bisher nichts bekannt über gelungene Achttausenderbesteigungen.

Macht nichts, wir haben noch Zeit und bleiben optimistisch.
Wir melden uns sobald wir